
Das Thema "Minen" lässt uns nicht mehr los. In Potosi, wiederum UNESCO-Weltkulturerbe und mit über 4000 m die höchst gelegene Großstadt der Welt- buchen wir deshalb eine Besichtigungstour.
Die Stadt wurde 1545 gegründet, kurz nachdem Erz entdeckt wurde. Bald finanzierte das hier geförderte Silber das gesamte Spanische Reich. Noch heute bezeichnet man in Bolivien etwas Lukratives "vale un Potosi" - wertvoll wie Potosi. In seinen Blütejahren wurde Potosi zur größten und reichsten Stadt des amerikanischen Kontinents. Bis heute, also seit fast 500 Jahren, werden hier Zinn, Blei und Reste von Silber unter unglaublich harten Bedingungen abgebaut. Im Cerro Rico, einem gewaltigen, rötlich schimmernden Berg, gibt es 250 Minen, von denen man einige besichtigen kann. Wir erleben sozusagen live die furchtbar unmenschliche Arbeit der Mineure. Unser Führer Jose spricht gut englisch, und so erfahren wir während unserer ca. 4-stündigen Tour durch Schlamm und finstere Stollen viele Details:
10 000 Männer schuften in den Minen von Potosi. Sie arbeiten in der Regel 5 bis 6, manchmal bis zu 12 Stunden täglich in Kleingruppen bis zu 10 Leuten. Ihr komplettes Equipment - Kleidung, Schuhe, Werkzeug, sogar Dynamit - müssen sie selber kaufen. Entlohnt wird, von der jeweiligen Kooperative, je nachdem was sie zu Tage fördern (monatlicher Durchschnittsverdienst in Bolivien allgemein: 260 €, Durchschnittsverdienst der Minenarbeiter: 340 €). Die gesundheitlichen Gefahren sind enorm! Im Jahr gibt es durchschnittlich 30 Todesopfer aufgrund von Steinschlägen, der falschen Handhabung von Dynamit oder Unfällen mit Loren. Da es im Land grundsätzlich nur für 20 % der Bevölkerung, der privilegierten Schicht, eine Versicherung gibt, müssen die Männer bei Verletzungen selber für den Ausfall aufkommen. Atemwegserkrankungen sind die Regel, die Lebenserwartung liegt bei 45 bis 50 Jahren. Wir treffen in einem der Stollen auf Eduardo. Er ist 67 und somit eine Ausnahme. Er arbeitet allein (v.a. für die Touristen, schrecklich!) und schlägt mit Eisenstäben Löcher für das Dynamit in den Fels. Er bekommt von uns Kokablätter. Vor der Führung wurden wir nämlich angehalten, für die Arbeiter Geschenke in Form von Koka und Süßgetränken mitzubringen, was wir in einem der unzähligen Läden am "Markt der Mineure" erstehen. Jose klärt uns auch über sonderliche Gebräuche auf: Die Minenarbeiter verehren Tio - eine Art Teufel - der mit Pachamama, der Mutter Erde, verheiratet ist. Ihn fleht man um Gesundheit und reiche Ausbeute an. Man bringt ihm auch Opfer dar. Jose steckt ihm eine angezündete Kokazigarette in den Mund, streut Kokablätter auf sein gewaltiges Geschlechtsteil und verschüttet einen Schluck Alkohol. Den zweiten Schluck nimmt er selber: 96 % !!! Wir lehnen dankend ab. Alle Arbeiter, die wir treffen, auch Jose, haben dicke Backen. Jeder lutscht stundenlang an einem Knödel Kokablätter. Die getrockneten Blätter werden mit einem Bissen Quinoaasche fermentiert und haben aufputschende Wirkung.
Auf unserer Tour lernen wir verschiedene Arbeitsgänge kennen. Zwei Männer eines Trupps fördern 200 kg schwere Säcke aus der Tiefe und schütten das Material in einen Schacht. Von dort holen zwei weitere mit einer Lore das Material und schieben den schweren Wagen durch die Dunkelheit Hunderte Meter ins Freie. Was wir Gott sei Dank nicht sehen, ist die gefährliche Arbeit derjenigen, die tief unten mit Dynamit hantieren. Der eigentliche Abbau wird händisch vollzogen, dabei müssen die Arbeiter mit Leitern bis zu 200 m tief hinunter klettern. Die Ausbeute an Zinn, Blei und Silber beträgt etwa 15 %, der Rest ist Stein. Das Schlimme laut Jose: Bolivien bleibt arm, weil es die Rohstoffe exportiert und nicht selber verarbeitet. Wenn man nun bedenkt, dass es in Bolivien, Peru und Argentinien unzählige solcher Minen gibt, mag man sich gar nicht vorstellen, wie viele Tausend Menschen auf diesem Kontinent heute noch unter solch grausamen Arbeitsbedingungen leiden.
Wir könnten über dieses interessante Land schon in den ersten Tagen so viel schreiben. Bitte googelt selber! Nur kurz unser erster Eindruck: Die Menschen sind bescheidener und zurückhaltender als die Argentinier und Chilenen. Wenn man sie aber aus der Reserve kitzelt, sind sie total freundlich und sympathisch. Trotz der sichtbaren Armut strahlen sie einen gewissen Stolz aus. Die Frauen prägen das Bild der Stadt. Viele sitzen in stoischer Ruhe - oft mit ihren Kindern - hinter ihrem Verkaufsstand oder einfach so am Straßenrand. Einige häkeln. Die wenigsten möchten fotografiert werden. Hoffentlich sehen sie es uns nach, dass Alex trotzdem "aus der Hüfte" ein paar Bilder gemacht hat.
Solltet ihr über das hochinteressante Thema der Minen noch mehr erfahren wollen:
https://swrmediathek.de/player.htm?show=3d839360-3ff7-11e0-bd36...